Albert Speers Berlin ohne Juden

Von Thomas Kuczynski 01.07.2002

Einen der meistgepriesenen »Modernisierer im Dritten Reich« hat nun endlich das Urteil der Geschichte ereilt – leider nicht mehr das der Justiz. Von Albert Speer ist die Rede, und wenn dem Nürnberger Gerichtshof nur ein Zehntel des von Susanne Willems historisch-kritisch aufgearbeiteten Materials vorgelegen hätte, dann wäre er sicherlich neben seinen Kumpanen Frick, Rosenberg & Co. zu hängen gekommen. So aber war er nach zwanzig Jahren Festungshaft ein freier Mann, avancierte zum Bestsellerautor und bekam übers Grab hinaus schöne Biographien, die, selbst nach damaligem Erkenntnisstand, nur als geschönt bezeichnet werden können. Ganz leicht war der Mann allerdings nicht dingfest zu machen, so wie er, nach den Worten der Autorin, »den Berliner Hauptstadtbau – aus freien Stücken und ohne je ein judenfeindliches Wort zu verlieren – mit der Judenverfolgung« verknüpfte. Er nutzte nicht etwa nach der »Reichskristallnacht« die Gunst der Stunde, paßte sich nicht einfach den geänderten Verhältnissen an. Sein erster Plan für die »Entjudung« des nach seinen Plänen repräsentativ umzugestaltenden Stadtzentrums war vielmehr schon im September 1938 entstanden und sollte, das ist nunmehr zweifelsfrei erwiesen, die Tatsache vertuschen, daß die Umgestaltungspläne, die Speer im Auftrage seines Führers entworfen hatte, vollständig gescheitert waren; denn Deutschlands Wirtschaftskraft war bereits zu diesem Zeitpunkt durch Rüstung und Kriegsvorbereitung so weitgehend in Anspruch genommen, daß die Pläne sich schon auf dem Reißbrett in Makulatur verwandelt hatten.

Dies zuzugeben hätte ihn, den Architekten und Unternehmer, sicher nicht das Leben gekostet, jedoch seine Position als Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt (GBI) so gefährden können, daß sie jene Profitabiliität verloren hätte, die den daraus resultierenden Aufträgen, richtiger: Selbstbeauftragungen, innewohnte. Die gigantomanischen Umgestaltungspläne mußten in jedem Falle – koste es, was es wolle – weiterhin realisierbar erscheinen. Und es kostete, kostete die im Mai 1939 über 80 000 in Berlin ansässigen Juden zunächst die »Großwohnungen«, dann jegliches Wohnrecht und schließlich das Leben.

Im Unterschied zu den meisten, die in Nürnberg gehenkt wurden, war Speer also nicht einmal ein Überzeugungstäter, seiner antisemitischen Gesinnung verpflichtet; seine subjektiven Handlungsmotive waren, obwohl dies kaum möglich erscheint, noch niederer Natur gewesen, verband sich doch bei ihm der »normale« Geschäftssinn des Kapitalisten mit der Eitelkeit und Feigheit des »Erfolgsmenschen«, der vor nichts zurückschreckt, um Profit und Profil zu bewahren. Gewissen- und gesinnungslos, aber höchst geschäftstüchtig hat er seine Pläne entworfen und realisiert, als ein mörderischer Technokrat, der, siebzig Jahre später geboren, als Musterbeispiel moderner Yuppies hätte fungieren können.

Von der Autorin wird all das in dieser Schärfe nicht formuliert; sie hat die Akten minutiös ausgewertet und die Ergebnisse ihrer Forschungen außerordentlich distanziert und nüchtern referiert. Das entspricht in gewisser Weise dem bürokratisch-technokratischen Stil ihrer Quellen, trotzdem – vielmehr: gerade deshalb – ist ein durchweg lesbares und geradezu spannend geschriebenes Buch entstanden. Der so nahe liegenden Versuchung, eine moralische Verurteilung zu schreiben, war die Autorin Seite für Seite ausgesetzt – sie ist ihr stets entkommen und liefert, auch dank ihrer juristischen Ausbildung, in der Analyse eine stringente Beweisführung, die zuweilen an eine kompositorische Meisterleistung erinnert.

Die Arbeit des GBI und seiner Untergebenen, ihre Zusammenarbeit mit der Berliner Gauleitung und dem Reichssicherheitshauptamt, Wohnraum suchenden Behörden, Firmen und Institutionen sowie Berliner Kommunalbehörden, die bei der »Entjudung« angewandten Verfahren der Bürokratie und des Betruges, die Täuschungen und Tricks, denen die jüdischen Bevölkerungsteile Berlins unterworfen wurden, all dies bildet den Hauptgegenstand des Buches. Nicht ausgespart ist das so schwierige Kapitel der erzwungenen Zusammenarbeit jüdischer Selbstverwaltungseinrichtungen mit den Raubmördern und ihren Instanzen. Hier wird einerseits mit der Mär aufgeräumt, daß »die Juden selber« ihre Deportationslisten aufgestellt hätten, andererseits aber bleiben auch die bei solcher Gratwanderung geradezu unvermeidlich eintretenden moralischen Abstürze auswegsuchender Opfer nicht ungenannt.

In einem sehr gedrängt geschriebenen Schlußkapitel kommen die unter Speers Leitung in den besetzten Ostgebieten auf dem Wege der »Vernichtung durch Arbeit« verbrochenen »Leistungen« zur Sprache. Auch ein ganz anders geartetes Thema künftiger Forschung scheint hier auf, nachzufragen nämlich, wie sich Speers Planungen für die Reichshauptstadt im Vergleich zu jenen ausnehmen, die seit einiger Zeit für das Areal zwischen Nordkreuz und Südbahnhof (Papestraße) in der Bundeshauptstadt vorliegen.

Bleibt zu wünschen, daß die etwas unsortiert geschriebene Einleitung niemand von der Lektüre des Buches abhalten wird. Der Anmerkungsapparat hingegen, der u.a. minutiös verzeichnet, wann das genau benannte Aktenstück entstanden und von wem es zur Kenntnis genommen, ob es unterschrieben oder nur paraphiert worden ist usw., möge den Fachleuten, angehenden wie auch dem Gros der gestandenen, als Beweis dafür dienen, daß und wie so etwas vollständig und lesefreundlich zugleich verfertigt werden kann. Dank auch dem Verleger, der die Kosten für dessen Druck nicht gescheut hat.

Susanne Willems: »Der entsiedelte Jude. Albert Speers Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Hauptstadtbau«, Edition Hentrich, 480 Seiten, 19.90 €.

Link: http://www.sopos.org/aufsaetze/3d2f029c79671/1.phtml