Speers politische und finanzielle Geschäfte mit der SS

Auszüge aus Publikationen

u.a. von

  • Karola Fings, NS-Dokumentationzentrum der Stadt Köln
  • Florian Freund, Institut für Zeitgeschichte an der Universität Wien
  • Rainer Fröbe, Hannover
  • Hermann Kaienburg, Hamburg
  • Bertrand Perz, Institut für Zeitgeschichte an der Universität Wien
  • Thomas Sandkühler, Bielefeld
  • Jan Erik Schulte, Museum Wewelsburg bei Paderborn

Speer und die Gründung und der Ausbau von Konzentrationslagern für die Steingewinnung, Steinbearbeitung und Steinproduktion ab 1938

"Die Speer zugesagten Produktionsstätten mußten errichtet und die eingegangenen Lieferverpflichtungen erfüllt werden, weshalb die KZ umgehend zusätzliche Zwangsarbeiter benötigten."

Jan Erik Schulte, Das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt und die Expansion des KZ-Systems, in: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd 1: Die Organisation des Terrors, hrsg. von Wolfgang Benz und Barbara Diestel, Redaktion Angelika Königseder, München 2005, S. 141-155, 143.

"Um alle Baustoffreserven abzuschöpfen abzuschöpfen, arbeitete Speer - als Hitlers Architekt der Reichsparteitagsbauten in Nürnberg und als GBI - eng mit der SS zusammen. Den Entscheidungen der SS zur Errichtung von Konzentrationslagern in Flossenbürg und Mauthausen 1938 gingen Konsultationen mit dem GBI über Qualität und Ausbeutung der dortigen Natursteinvorkommen voraus. Auch Gefangene der Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald, Neuengamme, Natzweiler und Gro´-Rosen schufteten unter Leben vernichtenden Bedingungen für die Steinanforderungen des GBI. Die 1938 gegründeten SS-eigenen Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH, DEST, betrieben die Steinbrüche, Ziegeleien und Steinbearbeitungsanlagen. Den Aufbau des Klinkerwerks Oranienburg kreditierte der GBI am 1. Juli 1938 vertraglich mit 9,5 Millionen Reichsmark, die mit Steinlieferungen aus den Sachsenhausener KZ-Betrieben in den folgenden zehn Jahren zu verrechnen waren. Im Mai 1940 erhielt die DEST vom GBI weitere 5 Millionen Reichsmark Kredit. Der GBI wurde Bauherr der seit August 1940 geplanten Lagerplätze und Werkstätten für die Steinbearbeitung, Oranienburg II. Seit 1941 setzte die SS mehrere tausend Gefangene des KZ Sachsenhausen als 'Kommando Speer' zum Aufbau und Betrieb dieser Steinbearbeitungsanlagen des GBI ein. Bei der Reorganisation der Konzentrationslager und der Gründung der DEST 1938 spekulierte die SS auf den sicheren Absatz aus Aufträgen der Neugestaltungsagenturen für die Speerschen Planungen in Berlin und Nürnberg."

Susanne Willems, Der entsiedelte Jude. Albert Speer Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Hauptstadtbau, Berlin 2002, S. 22f.

"Still, in the case of Berlin, it was not just a matter of DEST adapting its concerns to architectural requirements but also the fact that GBI administrators became involved with the quarrying process and, additionally, with the SS policing apparatus. Contrary to Speer's claims of avoiding collusion with the most extreme policies of National Socialism, it is with the support of the GBI that DEST carried out significant aspects of its economic developments. [...] With the GBI and the SS, this process not only promoted economic relations which brought together members of the GBI (Speer, Brugmann, Hettlage, Clahes) with key officials in the SS economic an political administration (Himmler, Pohl, Mummenthey, Schwarz and Heydrich). While these officials never had an easy relationship, their interests converged here in order to enact aspects of their divers political, economic and architectural goals. [...] GBI administrators were not simply passive technocrats responding to demands from above but rather active agents in pursuing their own policies and influencing those of other administrations including that of the SS."

Paul B. Jaskot, Architecture of Oppression. The SS, Forced Labor and the Nazi Monumental Building Economy, London und New York 2000, S. 81, S. 103.

In der folgenden Zeit kam es zu einer engen Kooperation zwischen Himmler und Speer [...]. Bei der Errichtung des Großziegelwerkes in Oranienburg ünterstützte Speer Himmler mit umfangreichen Vorauszahlungen auf spätere Lieferungen. Er besorgte die Baustoffe und Bezugskontingente für das Werk. Umgekehrt räumte die SS dem GBI weitgehende Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse ein. Auch bei den Betrieben der Werksteingewinnung (Steinbrüche, Steinbearbeitung) ist der Einfluß Speers erkennbar. Die Produktion wurde unmittelbar auf seine Wünsche ausgerichtet.
// Zum Teil hatte Speer persönlich Interesse an Granitvorkommen geäußert - Anlaß genug für die SS, dort Betriebe und Konzentrationslager zu errichten, z.B. in Groß-Rosen (Schlesien) und in Natzweiler (Elsaß). //
[Mitte August 1940] trat Speer mit dem Wunsch an die SS heran, neben dem Ziegelwerk Oranienburg am Hohenzollernkanal mit Hilfe von KZ-Gefangenen ein Steinbearbeitungswerk zu errichten und zu betreiben. [...] In einer Vereinbarung vom 3.12.42 ist festgehalten, daß die DESt die Anlage 'im Auftrage und für Rechnung' des Bauherrn GBI durchführte. Die DESt nahmen somit zunächst nur die Aufgaben eines Bauunternehmers wahr. [...] Nach Fertigstellung sollten sie das Werk als Pächter betreiben. In finanzieller Hinsicht setzte Speer dem SS-Unternehmen enge Grenzen. [...] Die grundlegenden Entscheidungskompetenzen bei der Errichtung und der konzeptionellen Gestaltung des Betriebs lagen somit nicht bei der SS. Speers Durchführungsstelle plante das Werk und kontrollierte seine Errichtung [...]. Trotz derartiger Bestimmungen übernahm die SS diese untergeordnete Rolle [...], aber entweder wurden die wirtschaftlichen Aussichten auf lange Sicht als günstig angesehen oder - was wahrscheinlicher ist - die SS war vom Wohlwollen des Reichsministers für Bewaffnung und Munition so stark abhängig, daß die SS-Führung Speers Bedingungen akzeptierte."

Hermann Kaienburg, "Vernichtung durch Arbeit". Der Fall Neuengamme, Bonn 1990, S. 74f. incl. Anm. 26, S. 117f.

"Der Plan, die Konzentrationslager als Arbeitskraft-Potential für die Gewinnung von Natur- und Ziegelsteinen unter Regie der SS zu benutzen, stand in engem Zusammenhang mit den damals unter Leitung von Albert Speer in Angriff genommenen nationalsozialistischen Bauprogrammen zur "Neugestaltung der Reichshauptstadt" und anderer Großstädte (München, Nürnberg, Weimar, Hamburg). Hitler [...] kam dabei gemeinsam mit Speer und Himmler auf den Gedanken, die Arbeitskraft der Häftlinge für diese Pläne nutzbar zu machen und den Konzentrationslagern dadurch zugleich eine Produktionsaufgabe zuzuweisen. [...] Es ging nicht nur darum, die Häftlinge produktiver einzusetzen, sondern das mit den SS-Produktionsstätten entstehende unternehmerische Interesse der SS löste nun auch ein zusätzliches Bedürfnis aus, die Zahl der Lager und Häftlinge zu erhöhen."

Martin Broszat, Nationalsozialistische Konzentrationslager 1933-1945, Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, München, 1964, in: Der SS-Staat, Bd. 2, München (1.1967) 4.1984, S. 9-133, 76ff., 78.

Speer als Herrscher über das Schicksal der jüdischen Rüstungsarbeiter ab 13. März 1942

"Als Speer am 13. März 1942 Martin Bormann, den Leiter der Parteikanzlei, veranlaßte, ein Rundschreiben an die Gauleiter aufzusetzen, das Speer auch über sein Ministerium und von der Deutschen Arbeitsfront verbreiten ließ, erhob er sich zum Herrscher über das Los aller zwangsbeschäftigten deutschen Juden: Die Leiter 'von Rüstungsbetrieben, die weisungsgemäß noch Juden beschäftigten,' waren einerseits 'gegen Angriffe und den Verdacht der Judenfreundlichkeit in Schutz zu nehmen'. Andererseits legte Speer die Regeln des Austauschs von Zwangsarbeitern fest, so daß der Einsatz von Juden in der Rüstungsproduktion in Berlin keine seiner noch ausstehenden Wohnungsräumungen behindern würde: 'Der Reichsminister für Bewaffnung und Munition wird im übrigen, sobald die Arbeitseinsatzlage es gestattet, die Juden in Rüstungsbetrieben durch andere Arbeitskräfte ersetzen und dafür die Juden zum Abtransport freigeben.'"

Susanne Willems, Der entsiedelte Jude. Albert Speer Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Hauptstadtbau, Berlin 2002, S. 370, dort zitiert nach Wolf Gruner, Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden. Zur Zwangsarbeit als Element der Verfolgung 1938-1943, Berlin 1997, S. 295 [Nachrichten des RMinBM Nr. 1 v. 31.3.42; BArch (P) 62 DAF 3 Nr. 2251, Bl. 56: AO 3/42].

Speer und die Einbeziehung der Konzentrationslager in die Rüstungsproduktion ab 1942

Pohl sah die Besprechung mit Speer [am 15.9.42] als einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zu einem SS-eigenen Rüstungskonzern an. Anders läßt sich nicht erklären, daß ihm ein zentraler Umstand entging oder er ihn billigend in Kauf nahm. Um die Übernahme von 'Rüstungsaufgaben in Großformat' zu erreichen, gab er den kategorischen Imperativ Himmlers, daß keine Häftlinge außerhalb der Lagergrenzen eingesetzt werden dürften, auf. Einzig gestützt auf Absichtserklärungen gelang es Speer also, das Verbot Himmlers, welches ursprünglich die vollständige Kontrolle der SS über die Gefangenen sichern sollte, aufzuweichen. Das war für die weitere Entwicklung von großer Bedeutung. [...] Anders als erhofft, hatte Speer nicht die Ambitionen der SS unterstützt, sondern im September 1942 einem unumschränkten 'Häftlingsverleih' an die Industrie den Weg gebahnt. [...] Im Oktober 1944 übernahm Speers Ministerium selbst die Verteilung der Häftlinge auf die Rüstungsbetriebe und schaltete das WVHA bei diesem Prozedere fast völlig aus."

Jan Erik Schulte, Zwangsarbeit und Vernichtung: Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt 1933-1945, Paderborn 2001, S. 220f.

Parallel zum Amtsantritt Albert Speers als neuem Cheflenker der deutschen Rüstungswirtschaft und Fritz Sauckels als Organisator des Zwangsarbeitereinsatzes entstand mit dem WVHA unter Oswald Pohl im Frühjahr 1942 die neue Organisationszentrale der SS zur Umstellung des Häftlingseinsatzes auf die Bedürfnisse der Rüstungsindustrie, die nun mit großem Einsatz betrieben wurde."

Ulrich Herbert, Karin Orth und Christoph Dieckmann, in: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, hrsg. v. Ulrich Herbert, Karin Orth und Christoph Dieckmann, 2 Bde.,(Göttingen 1.1989) Frankfurt am Main 2002, S.30.

"Auch das Ministerium [...] interessierte sich seit dem Frühjahr 1942 für die Arbeitskräfte , die sich unter Kontrolle der SS befanden. Nach zähen Verhandlungen und direkter Intervention bei Hitler gelang Albert Speer schließlich ein Zugriff auf die KZ-Häftlinge."

Gabriele Pfingsten und Claus Füllberg-Stolberg, in: , in: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, hrsg. v. Ulrich Herbert, Karin Orth und Christoph Dieckmann, 2 Bde.,(Göttingen 1.1989) Frankfurt am Main 2002, S. 912.

"Im September 1942 machte Speer der SS das Angebot, die Verantwortlichkeit für mehrere große Rüstungswerke der Privatwirtschaft zu übernehmen, wenn die Konzentrationslager die Arbeitskräfte stellten."

Hermann Kaienburg, Zwangsarbeit: KZ und Wirtschaft im Zweiten Weltkrieg, in: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd 1: Die Organisation des Terrors, hrsg. von Wolfgang Benz und Barbara Diestel, Redaktion Angelika Königseder, München 2005, S. 179-194, 184.

"SS policy, however optimistic in the early war years, could not withstand the increasing number of German military defeats beginning in late 1942 with the setback at Stalingrad. The German economy had to mobilize all of its resources for the war effort and Speer, in his role of Minister of Armaments, began to lead the way."

Paul B. Jaskot, Architecture of Oppression. The SS, Forced Labor and the Nazi Monumental Building Economy, London und New York 2000, S. 78f.

"Im Herbst 1943 wurden die ersten Untertageprojekte, bei denen Häftlinge aus dem KZ Mauthausen eingesetzt waren, [...] begonnen. Beide im Auftrag des Heereswaffenamtes durchgeführten, eng verknüpften Bauvorhaben dienten nicht für die Verlagerung einzelner Rüstungsfirmen, sondern waren Teil der Schutzmaßnahmen für die V-Waffenerzeugung. Der Einsatz der KZ-Häftlinge für diese Bauvorhaben war auf höchster Ebene zwischen Hitler, Himmler und Speer vereinbart worden."

Bertrand Perz, in: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, hrsg. v. Ulrich Herbert, Karin Orth und Christoph Dieckmann, 2 Bde.,(Göttingen 1.1989) Frankfurt am Main 2002, S. 543f.

"Vor der Entscheidung zwischen einer Nicht-Erfüllung von Produktionsvorgaben oder dem Einsatz von KZ-Häftlingen wählten die Unternehmen jedoch in der Regel die zweite Möglichkeit. Aus unternehmerischer Perspektive war dies dadurch begründet, daß in dem Speerschen System der 'Bestbetriebe' Firmen, die mit ihren Maschinen zu wenig oder nicht rationell produzierten, mit dem Entzug des Maschinenparks und dessen Zuweisung an einen Konkurrenzbetrieb bestraft wurden."
"Der Erlaß Speers vom 9. Oktober 1944, durch den die Verfügungsgewalt über die für den industriellen Einsatz vorgesehenen Häftlinge in den Bereich des Rüstungsministeriums überging, ist sichtbarer Ausdruck dieser Machtverschiebung [von der SS zu Speer]."

Rainer Fröbe, in: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, hrsg. v. Ulrich Herbert, Karin Orth und Christoph Dieckmann, 2 Bde.,(Göttingen 1.1989) Frankfurt am Main 2002, S. 667, S. 668.

Speers Kooperation mit Himmler: KZ-Gefangene in SS-Baubrigaden ab September 1942

"Der Aufstellung der Baubrigaden lag zwar ein Befehl Himmlers zugrunde, der konkrete Einsatz erfolgte im Herbst 1942 jedoch 'nach Weisungen von Reichsminister Prof. Speer'."
"Dieser Prozess ist von dem eigentümlichen Verhältnis aus Konkurrenz und Kooperation geprägt, das Himmler und Speer um des Regimeerhalts willen - und damit ihres eigenen politischen Überlebens - eingingen. Beide waren gleich bedingungslos in ihrem Endsiegfanatismus, in dem sie nur der Propagandaminister Joseph Goebbels übertraf. Und beide profilierten sich in ihren Bereichen als rigorose Diktatoren, wenn es um die Erfüllung ihrer Planungsvorgaben ging. [...] In der Praxis verschränkten sich beide Institutionen auf der lokalen Ebene: Die Oberbürgermeister erhielten als 'Leiter der Sofortmaßnahmen' [zur Fliegerschädenbeseitigung an Industrieanlagen und Gebäuden, sws] über das SS-WVHA die Häftlinge und arbeiteten mit dessen Repräsentanten eng zusammen, unterstanden aber der Speerschen Dienststelle des 'Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft'. Die Bündnispartner auf lokaler und reichsweiter Ebene verschafften Himmlers Apparat einen beträchtlichen Legitimationszuwachs."

Karola Fings, Krieg, Gesellschaft und KZ: Himmlers SS-Baubrigaden, Paderborn 2005, S. 53, S. 315

Speer und der Ausbau von Auschwitz-Birkenau zu einem der Zentren des Völkermords an den europäischen Juden im September 1942

"Auch in den folgenden Jahren standen die für den Ausbau von Auschwitz und Birkenau erforderlichen Baumaterialien (Holz, Eisen, Zement, Ziegelsteine, Eisenbahnschienen, Stacheldraht usw.) auf dem freien Markt nicht zur Verfügung, und der Schwarze Markt in Ostoberschlesien war gleichermaßen leergefegt. Die vorgesetzten SS-Dienststellen in Berlin konnten ebenfalls keine Unterstützung leisten [...]; die benötigten Kontingente mußten deshalb bei den zuständigen Reichsbehörden beantragt und von diesen genehmigt werden. Hieraus ergab sich gerade in der Aufbauphase von Birkenau eine überaus enge Zusammenarbeit mit dem von Albert Speer geleiteten Rüstungsministerium: ohne die Materialzuweisungen durch das Ministerium Speer hätte Birkenau nicht gebaut werden können. Erst Speer hat im September 1942 nach einer Besprechung mit der SS [am 15.9.42] dafür gesorgt, daß für den Ausbau des Lagers Auschwitz Baukontingente für mehr als 13 Millionen RM bereitgestellt wurden. Die durch das Rüstungsministerium zur Verfügung gestellte Bausumme in Höhe von 13,7 Millionen RM entsprach fast exakt den tatsächlichen Kosten, die einen Monatspäter von der Zentralbauleitung mit 13,76 Millionen RM beziffert wurden. Es bleibt damit festzuhalten, daß erst durch Speers Entscheidung die Errichtung der Krematorien und Gaskammern in Birkenau überhaupt möglich geworden war. Über die Hintergründe dieser Entscheidung ist wenig bekannt. Vermutlich wollte der eng mit Hitler befreundete Rüstungsminister kein Hindernis bilden, wenn es um die Umsetzung des Befehls zur Ermordung der europöischen Juden ging. Allerdings räumte er in der Folgezeit der SS grüßere Verfügungsmöglichkeiten über die rationierten Baustoffe ein, wodurch sein Ministerium in den Hintergrund treten konnte. Möglicherweise hat Speer seine Entscheidung für den Ausbau von Auschwitz auch mit der Hoffnung verknüpft, daß große Teile der in Auschwitz als 'arbeitsfähig' eingestuften Juden in den Rüstungsfabriken der Reiches eingesetzt werden könnten."

Rainer Fröbe, Bauen und Vernichten. Die Zentralbauleitung Auschwitz und die "Endlösung", in: Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 16," Durchschnittstäter". Handeln und Motivation,Berlin 2000, S. 155-209.

Speer und das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz ab 1942 - und die "Aktion Reinhard"?

"Speer entwarf und beförderte das Programm, in dem die Massendeportationen der europäischen Juden unter deutscher Herrschaft in das zentrale Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz für die Rüstungsproduktion ebenso funktional erschienen wie für die künftigen Friedensbauaufgaben. Es kam Speer in Nürnberg gelegen, daß mehrere Zeugen und Kontrahenten seiner Geschäfte in der Politik des Välkermords die militärische Zerschlagung ihrer Herrschaft nicht überlebt hatten; auf der Nürnberger Anklagebank fehlten zumindest Hitler, Himmler, Heydrich, Goebbels und Bormann. Vielleicht wird sich deshalb auch nicht mehr aufklären lassen, über welche Aspekte der Politik des Völkermords Speer und Heydrich sich am 4. Dezember 1941 in Prag einigten, als sie ihren von Heydrich so bezeichneten 'Teufelspakt' schlossen, über den er nach Berlin nicht schriftlich berichten wollte."

Susanne Willems, Der entsiedelte Jude. Albert Speers Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Hauptstadtbau, Berlin 2002, S. 431f.

"Die Verwirklichung der umfangreichen Planungen [...] in Birkenau sollte es nun möglich machen, hunderttausende europäischer Juden in einem System von Arbeitsausbeutung und industriellem Massenmord zu vernichten. [...] Es ist davon auszugehen, daß zum Zeitpunkt der Besprechung mit Speer [15. September 1942, im Ministerium mit Speer, Schieber, Saur, Steffens und Briese, vom WVHA Pohl und Kammler, Bericht Pohl an Himmler v. 16.9.42 s. Speer-Dokumente auf www.susannewillems.de] der konkrete Ausbauplan für das letzte Quartal 1942 und für 1943 vorlag, denn in der Besprechung wurden die Kosten dieses Planes (gekürzt oder auch in vollem Umfang) auf die oben genannte Summe [13,7 Mio RM] festgelegt. [...] Kurz darauf ordnete Himmler die Deportation aller in Konzentrationslagern auf Reichsgebiet befindlichen Juden in die KZs Auschwitz und Lublin an. [...] Nach dieser Schilderung von Pohl [v. 19.4.43: "Der Reichsminister Speer tut so, als ob wir ohne sein Wissen sehr großzügig und zeitfremd in den Konzentrationslagern herumbauen. [...] Ich stelle also fest, daß nicht nur die Zentraldienststellen des Reichsministers Speer, sondern auch seine örtlichen Beauftragten bis ins letzte über unsere Bauvorhaben unterrichtet waren und sie schriftlich genehmigt haben."] Nach dieser Schilderung von Pohl kann angenommen werden, daß ein Bauakt [v. 28.10.42], der die Gesamtplanungen des Lagers Auschwitz-Birkenau - unter dem Aktenzeichen der vergebenen GBBau-Kennummer - zusammenfaßt und dem eine Besprechung mit dem GBBau Speer vorausgegangen ist, zumindest von der inhaltlichen Beschaffenheit her jener Akt ist, der auch dem GBBau für die generelle Baugenehmigung (grüne GB-Bauzettel) als Entscheidungsgrundlage vorgelegen hat."

Florian Freund, Bertrand Perz und Karl Stuhlpfarrer, Der Bau des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Die Aktenmappen der Zentralbauleitung Auschwitz "Vorhaben: Kriegsgefangenenlager Auschwitz (Durchführung der Sonderbehandlung)" im Militärhistorischen Archiv Prag, in: zeitgeschichte 5/6, 20. Jg, 1993, S. 187-214.

"Als wichtigstes Ergebnis kann festgehalten werden, daß die 'Aktion Reinhard' nicht nur im Generalgouvernement, sondern auch in Auschwitz-Birkenau durchgeführt wurde. Der Begriff 'Aktion Reinhard', der Heydrichs Vornamen entnommen war, bezeichnete von vornherein den Massenmord an den Juden und die Verwertung ihres Eigentums. Ideologische und wirtschaftliche Zielsetzungen standen beim Judenmord durch Giftgas nicht im Widerspruch zueinander; sie waren komplementär. [...] Himmlers Besuch in Auschwitz und Lublin macht diese Verklammerung [der beiden Tötungszentren in der 'Aktion Reinhard'] sinnfällig. Seither wurde die Infrastruktur der 'Aktion Reinhard' in Lublin und Auschwitz parallel erweitert. Im September 1942 sind besonders viele Aktivitäten in dieser Hinsicht zu verzeichnen. [...] Die in der Holocaust-Literatur verbreitete These, die 'Aktion Reinhard' sei eine auf das Generalgouvernement beschränkte Erfindung Globocniks gewesen, läßt sich nicht halten. [...] Wenn es zutrifft, daß die 'Aktion Reinhard' zentral gesteuert wurde und nicht nur das Generalgouvernement umfaßte, ergibt sich weiterer Forschungsbedarf [...]. Es ginge in diesem Zusammenhang um das Verhältnis zwischen WVHA und RSHA einerseits, zwischen WVHA und Speer-Ministerium andererseits bei den Judenmorden seit Frühjahr 1942."

Bertrand Perz und Thomas Sandkühler, Auschwitz und die "Aktion Reinhard" 1942-45. Judenmord und Raubpraxis in neuer Sicht, in: zeitgeschichte 5, 26. Jg., 1999, S. 283-316, S. 300f.