Nachgefragt

Topographie des Terrors, Berlin, 14. März 2004

Was ist nun wirklich neu an den Forschungsergebnissen?

Die Urheberschaft Speers an der Verelendung der Berliner Juden als Wohnende seit 1938 und an den Massendeportationen der Juden aus Berlin seit Mitte 1940. Darüberhinaus der innere Zusammenhang zwischen der projektierten städtebaulichen Modernisierung der Hauptstadt Berlin und der rassistischen Politik gegen die jüdische Wohnbevölkerung. Erstmals rekonstruiert ist das bürokratische System der Erfassung von mehr als 50.000 Menschen zur Deportation aus der mehr als 4 Millionen Einwohner Metropole Berlin. Aufgeklärt ist schließlich, daß, wann und warum Speer als Architekt des Berliner Hauptstadtbaus sich zum Interessenten, Initiator und Nutznießer der Deportation aller Berliner Juden machte, die er sämtlich zwischen August und November 1941 bei der Gestapo in Auftrag gab. Den ersten Räumauftrag Speers von August 1941 führte die Gestapo mit den Deportationen von Oktober 1941 bis April 1942 aus. Den letzten Räumauftrag Speers setze die Gestapo ab Juni 1942 um und schloß diesen mit den Straßenaktionen ab November 1942 und der Fabrikaktion bis März 1943 ab.

Aber wären die Berliner Juden denn nicht auch ohne Speers Wohnungsräumungen deportiert worden?

Selbst wenn das so wäre: Es war Speer, der die Verelendung und die Massendeportation der Berliner Juden verursachte: Es war Speers Politik seit September 1938, den Berliner Stadtumbau auf Kosten der jüdischen Wohnbevölkerung durchzusetzen. Und es war Speers Interesse, die Neugestaltung noch während des Kriegs möglichst weit voranzutreiben, und zwar auf Kosten der Berliner Juden, die Speer im Juli 1940 unmittelbar nach dem erwarteten Kriegsende deportiert zu sehen wünschte, und für deren Deportation während des andauernden Kriegs er ab Ende September 1940 - im Bündnis mit Heydrich und Goebbels - warb. Die Systematik der Massendeportationen ab Oktober 1941 bis zum März 1943, insbesondere die Reihenfolge der Auslieferung von Berliner Juden in die bürokratischen und polizeilichen Fänge der Gestapo bestimmte die Behörde Speers. Speers Behörde war es, die bei der Gestapo die Massendeportationen der Juden aus Berlin Wohnung für Wohnung in Auftrag gab. In Berlin war Speer der Auftraggeber der Gestapo.

Welche Rolle kam denn Hitler bei der Ingangsetzung der Deportationen der Berliner Juden zu?

Hitler verweigerte mehrfach die Zustimmung zum Beginn der Massendeportationen auch der Berliner Juden. Erst im September 1941 gelang es Himmler, diese Einwilligung zu erhalten, zu einem Zeitpunkt, als in Speers Behörde die bürokratischen Vorbereitungen für die Räumung von 5.000 Wohnungen, deren Instandsetzung und deren Übernahme durch seine mietberechtigte Klientel bereits abgeschlossen waren, und lange bevor das Reichssicherhauptamt geklärt hatte, wohin überhaupt diese weit mehr als 10.000 von Speers Kündigungsanordnungen betroffenen Berliner Juden deportiert werden könnten.

Trifft es zu, daß die Jüdische Kultusvereinigung Einfluß darauf hatte, welche Juden wann aus Berlin deportiert wurden?

Nein. Noch nicht einmal die Berliner Gestapo hatte Einfluß darauf, wer zur Deportation erfaßt wurde. Weil das Erfassungssystem zu Beginn von den der Gestapo aus Speers Behörde übergebenen Karteiauszügen über Wohnungen und ihre Haupt- und Untermieter bestimmt war, wurden anfangs auch Juden aus Berlin bürokratisch erfaßt und polizeilich deportiert, die nach den späteren reichsweiten Richtlinien - vorläufig - zurückzustellen waren. Die Gestapo erfüllte mit der Identifizierung aller Wohnungsbewohner anhand des polizeilichen Melderegisters und mit der Verfügung der Einziehung des Vermögens den jeweiligen Räumauftrag Speers. Die Gestapo konnte - bei anderweitiger Einquartierung der durch Speers Kündigungsanordnung zur Wohnungslosigkeit Verurteilten - einzelne Juden von der Deportation zurückstellen. Die Gestapo nahm solche - vorläufigen - Zurückstellungen aufgrund ihrer eigenen Richtlinien, der Interventionen von Rüstungsbetrieben, die ihre Zwangsarbeiter reklamierten, und aufgrund der Interventionen des Vorstands der Jüdischen Kultusvereinigung vor. Nur darauf - auf die Durchsetzung von Zurückstellungen von einer bevorstehenden Deportation und damit auf die Hinausschiebung des Zeitpunkts der Deportation im Einzelfall - war der etwaige Einfluß der Jüdischen Kultusvereinigung beschränkt.